Anarchie im Museum
Thomas Hirschhorn in der Villa Stuck

18. Dezember 2018 • Text von

Es ist ein Bild der Zerstörung. Eingefallene Decken, kaputte Kronleuchter und bröckelnde Wände. Hier herrscht das Chaos, das Museum wird zur Ruine. Verantwortlich dafür ist jedoch keine Naturkatastrophe oder Terrorangriff, sondern ein Künstler: Thomas Hirschhorn.

Thomas Hirschhorn, Never Give Up The Spot, 2018, Foto: Julia Anna Wittmann

Hirschhorn hat Großes vor, er möchte das Kunstverständnis in der Institution Museum revolutionieren und ein Museum der Zukunft etablieren. “Never Give Up The Spot” heißt seine aktuelle Ausstellung in der Villa Stuck, in der er den alten Atelierbau in eine Ruinenlandschaft über drei Stockwerke verwandelt. Mit einfachen, alltäglichen Materialien gestaltete Hirschhorn ein Kunstwerk, das gleichzeitig zu einer Skulptur und zu einer Ruine wird. Auf den ersten Blick regiert hier das reine Chaos. Riesige Brocken aus Pappe, Bahnen aus Klebeband und besprühte Wände empfangen die BesucherInnen. Die reine Zerstörung ist hierbei aber nicht das Ziel.

Thomas Hirschhorn, Never Give Up The Spot, 2018, Foto: Julia Anna Wittmann

Auf den kostenlosen Ausstellungskatalogen, die in der Ruine ausliegen, befindet sich ein Zitat aus den Gefängnistagebüchern des italienischen Philosophen und Kommunisten Antonio Gramsci: “Destruction is difficult. Indeed it is as difficult as creation”. Es ist schwierig aus den bisher bestehenden Konventionen, Hierarchien und Gewohnheiten auszubrechen. Ebenso an ihrer Stelle etwas Gerechtes, etwas Neues zu etablieren. Doch aus der Katastrophe entsteht Neues, Chaos birgt das Potenzial für Kreativität. Die BesucherInnen haben nun die Macht, Zerstörung und Kreation zu vereinen. Dabei dürfen sie auf die gleichen Materialien zurückgreifen, aus denen auch die Ruinen geformt wurden. Insgesamt sind drei Arbeitsplätze über die Stockwerke verteilt, die zur Mitarbeit und zum Verweilen einladen. Mit Hilfe von Werkzeugen, Computern, Druckern, Kopierern, Büchern und Zeichenmaterial kann jeder Teil der Utopie werden. Bei kreativen Notfällen hilft Hirschhorns Theorien-Apotheke, die mit Schriften von den Denkern Bataille, Deleuze und Derrida bestückt ist.

Thomas Hirschhorn, Never Give Up The Spot, 2018, Foto: Julia Anna Wittmann

Die Idee der Ruine ist nicht neu für den Künstler. Es ist ein wiederkehrendes Motiv, das Hirschhorn schon seit einigen Jahren beschäftigt und in seinem Œuvre wiederzufinden ist. Zudem veröffentlichte er 2017 sein Manifest “Das Museum der Zukunft”, in dem er acht Bedingungen zur radikalen Veränderung dieser Institution vorstellt. Indem er nun die Ruine in die Villa Stuck bringt, ist es ihm möglich fast alle Forderungen in “Never Give Up The Spot” zu verwirklichen. Die Mauern sind gefallen, das Museum ist kostenlos, für jeden zugänglich, ein ungeschützter Ort an dem alle gleich sind. Auch der Katalog ist gratis und frei verfügbar. Feste Bestandteile des Museums sind verschwunden – keine Wächter, kein Programm und auch keine Architektur. In der Ruine herrscht die Anarchie. Nur der ununterbrochene Zugang zu diesem Museum der Moderne konnte nicht umgesetzt werden. Das Museum schließt wie immer um spätestens 18 Uhr seine Türen. Die Zeit ist wohl noch nicht ganz Reif für Hirschhorns Visionen.

WANN: Die Ausstellung ist noch bis 3. Februar 2019 zu sehen.
WO: Museum Villa Stuck, Prinzregentenstr. 60, 81675 München

Weitere Artikel aus München