Trotz dem Kulturprekariat!
Pankow blüht im artspring

30. Mai 2019 • Text von

Am kommenden Wochenende laden knapp 300 Künstler*innen im Rahmen des artspring Festivals in ihre Arbeitsräume in Pankow ein. Nicht nur um ihre Arbeiten und künstlerischen Arbeitsprozesse zu zeigen, sondern auch um den Blick auf die Probleme zu lenken, die die Existenz der Kunstschaffenden und das kulturelle Leben im Bezirk bedrohen.

artspring 2018 – Atelieransicht – Foto: Studio Carlos Silva

„Der Stadtbezirk wird Galerie!“ lautet der Leitspruch des Festivals artspring berlin, wobei man sich von dem Begriff „Galerie“ nicht irreführen lassen darf – bei dem Festival, das durch einen gemeinschaftlichen Kraftakt von in Pankow ansässigen Künstler*innen und Ateliergemeinschaften möglich ist, stehen die Arbeitsräume der Kunstschaffenden im Mittelpunkt. Kommerzielle Interessen spielen kaum eine Rolle. Vermehrt werden drängende Existenzfragen und politische Anliegen im Rahmen des Forums adressiert und die Größenordnung des Zusammenschlusses genutzt, um an eine breitere Öffentlichkeit zu treten.

artspring 2019, artspring spots – Eröffnung der Ausstellung 25 Jahre Ateliergemeinschaft Milchhof + 10 Jahre Pavillon, copyright Ralph Bergel

Die Öffnung der Arbeitsräume der Kunstschaffenden Pankows bildete den Ausgangspunkt des Festivals. Dieses Jahr, in seiner dritten Ausgabe, umfasst es darüber hinaus zwei den ganzen Mai über laufende Ausstellungen im Zeiss-Großplanetarium und in der Janusz-Korcak-Bibliothek. Zudem findet ein umfangreiches Begleitprogramm inklusive Podiumsdiskussion mit lokalen Politiker*innen statt. Der anfängliche Grundgedanke war laut Julia Brodauf, die das Festival gemeinsam mit Jan Gottschalk organisiert, die Sichtbarwerdung der Kunst im Bezirk und der Kontakt zu den Akteuren und Nachbarn. Natürlich richtet sich artspring auch an die Berliner Szene, um Aufmerksamkeit auf die Bandbreite künstlerischer Produktion im Bezirk zu lenken. 

artspring 2019, artspring spots, KEP Raumforschungslabor in den Schönhauser Arcaden, copyright Ralph Bergel

Wie der im Bereich Sound Art arbeitende Künstler Stefan Roigk betont, kann durch dieses Format nicht nur das Kunstwerk, sondern insbesondere auch die sich darin ausdrückende Arbeit näher gebracht und der ominöse, anonymisierte Aspekt des künstlerischen Schaffens aufgebrochen werden. Den Klangkünstler zog es 2004 wegen der subkulturellen Szene nach Pankow. Doch von dieser ist heute kaum etwas übrig. Alle bei artspring mitwirkenden Künstler*innen sehen sich mit demselben Problem konfrontiert. Aufgrund von Sanierungsprojekten und steigenden Mietpreisen sinkt die Anzahl von Ausstellungsräumen und verfügbaren Atelierplätzen Jahr für Jahr, während weiterhin Künstler*innen zuziehen. Dadurch sehen sich nicht nur einzelne Kunstschaffende in ihrer Existenz bedroht. Ganze Ateliergemeinschaften, wie jene in der ehemaligen australischen Botschaft Ost und die KunstEtagenPankow werden das nächste Jahr nicht überleben.

artspring 2019, artspring spots, “Der dritte Raum” in Sepp Maiers 2raumwohnung, Künstler und copyright Peter Müller

Diese Missstände schweißen die Künstler*innen vor Ort zusammen, wobei das Festival artspring in den letzten Jahren wesentlich zur Kollektivierung beigetragen hat. Hier kamen Kreative aus unterschiedlichen Bereichen zusammen und setzten sich gemeinsam dafür ein, einen Dialog herzustellen: mit den Nachbar*innen, mit Kulturtourist*innen und mit der Politik. „Wir betonen die Präsenz der Kulturprojekte, die hier stattfinden“, so Brodauf, „damit sie im Zuge der Gentrifizierung nicht verloren gehen.“ Gemeinsam wird für den Erhalt der Ateliers gekämpft, und das nicht nur im eigenen Interesse, wie die Werbegrafikerin Simone Ommert betont, sondern auch zugunsten des Erhalts und der Aufwertung des kulturellen Lebens in Pankow. Ihr persönlicher Beitrag zu dem Festival war die Herstellung der Printmedien. Stefan Roigk organisiert seinerseits mit seiner Frau Daniela Fromberg den „artspring store“ in den Schönhauser Allee Arcaden, dem Anlaufpunkt und Informationszentrum des Festivals. Ihr Engagement über die eigene künstlerische Praxis hinaus und gegebenenfalls gar neben einem Zweitjob, war nicht nur zeitaufwendig, sondern vor allem ehrenamtlich. Nochmal sind persönliche Aufwendungen in diesem Ausmaß ohne ausreichend finanzielle Unterstützung nicht zu stemmen, da sind sich alle Mitwirkenden einig. artspring brauche dringend staatliche Förderung – für Brodauf eine Angelegenheit des Bezirks, wo die Zuständigen sich bis dato allerdings noch winden.

artspring 2019, Eröffnung artspring store, 2019, copyright André Wunstorf

Die Probleme sind bekannt und betreffen bei Weitem nicht nur das gutbürgerliche Pankow als einwohnerreichsten Bezirk der Stadt, obgleich für diesen in der Kulturförderung verhältnismäßig wenig Mittel aufgebracht werden. Diese Entwicklungen machen sich mittlerweile in jeder Ecke Berlins bemerkbar. Was hier jedoch einzigartig ist, ist der Zusammenhalt, die Schaffenskraft und der Kampfgeist der kreativen Szene vor Ort, die mit artspring ein öffentliches Forum für ihre Kunst und ihre politischen Forderungen geschaffen hat. Das Wochenende der offenen Ateliers bietet Besucher*innen die Möglichkeit, die Kulturproduktion in womöglich letzter Blüte zu erleben, sich mit den Künstler*innen auszutauschen und sich von einem interdisziplinär aufgestellten Programm anregen zu lassen.

WANN: Am Samstag, den 1. Juni, und Sonntag, den 2. Juni, stehen die Ateliers von ca. 300 Künstler*innen in Pankow offen.
WO: Die Arbeitsräume sind über ganz Pankow verteilt. Es ist sinnvoll, sich im artspring store in den Schönhauser Allee Arcaden einen ersten Überblick zu verschaffen und gegebenenfalls beraten zu lassen (nur Samstag). Die Festivalzeitung mit allen Adressen und Informationen liegt ebenfalls im Milchhof  und in den teilnehmenden Atelierhäusern aus (auch Sonntag). Mehr Infos hier.

In freundlicher Zusammenarbeit mit artspring berlin.

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