Identifikationsmöglichkeiten
Manuel Stehli über Ambivalenz in der Malerei

9. März 2018 • Text von

„Out of touch / Out of time“ heißt die aktuelle Ausstellung der Winsor & Newton Stipendiat*innen in der Galerie des Künstlerhauses Bethanien. Nachdem wir im Sommer bereits mit Aneta Kajzer gesprochen haben, führte Manuel Stehli uns vor Eröffnung durch die Ausstellung und erzählte von digitalen Bildwelten auf der Leinwand.

Manuel Stehli in seinem Atelier im Künstlerhaus Bethanien, Berlin, 2018, © Artpress.

gallerytalk.net: Deine Bilder sind formal stark ausdifferenziert: Harte Konturen und monochrome Flächen. Fertigst du Zeichnungen an, bevor du ein Motiv auf die Leinwand bringst?
Manuel Stehli: Nein, Zeichnungen mache ich eigentlich so gut wie gar nie. Ich arbeite oft mit gefundenen Bildern oder auch Screenshots, die ich dann auf der Leinwand neu zusammensetze. Ich beginne mit einer vagen Vorstellung, aber das Bild entsteht eigentlich erst während dem Malen.

Was für Bilder interessieren dich, wenn du recherchierst?
Ich habe mich eine Zeitlang viel mit älteren Computerspielen beschäftigt, weil ich bestimmte grafische Vereinfachungen interessant fand. Mich interessierte, wie bestimmte Texturen auf harte Kanten prallen und wie Dinge vereinfacht werden. Diese Ästhetik kombiniere ich zunehmend mit realen Körperhaltungen oder Situationen, in denen sich Menschen befinden. Die digitale Bildwelt trifft dann mit alltäglichen Szenen zusammen, deren Imitation sie ist, obwohl sie doch gleichzeitig ihre eigene Dynamik hat.

Ist es nur die Ästhetik von Computerspielen, die dich fasziniert?
Einerseits ist es die Ästhetik, die mich interessiert, andererseits ist es das Verhältnis von Betrachter und Figur, von Spieler und Alter-Ego. Beide sind miteinander verbunden: Man ist der, den man spielt. Das Alter-Ego wird so präsentiert, dass man sich mit ihm oder ihr identifizieren kann, weil nachvollziehbar sein soll, was er oder sie gerade im Spiel macht.

Ausstellungsansicht Manuel Stehli, Photo: Manuel Stehli.

Führst du diesen Gedanken in deinen Bildern fort? Soll sich eine ähnliche Verbundenheit auch bei der Betrachtung deiner Malerei einstellen?
Dieser Zusammenhang war nicht von Anfang an präsent, sondern ist mir erst während dem Malen bewusst geworden. Ich habe eine Reihe von kauernden oder sitzenden Figuren aus Spielen gemalt, die mir einfach gefallen haben in ihrer komischen – leicht angespannten, leicht entspannten – ambivalenten Körperhaltung. Dann habe ich versucht ähnliche Posen auf Fotos zu finden, was mir nicht gelungen ist. Digitale Figuren nehmen oft Haltungen ein, die sich so in anderen Kontexten nicht wiederfinden lassen. Vielleicht ist es das Nicht-Gestellte: Die Figuren müssten eigentlich davon wissen, dass sie vor der Kamera sind, das sie abgelichtet werden, aber sie scheinen völlig weggetreten, weil es im Ende immer noch simulierte Körper sind.

Diese Entrücktheit gibt es bei Avataren und Virtural Reality-Brillen nicht mehr in dieser Form.
Die älteren Computerspiele waren vor allem wegen ihrer Ästhetik für mich interessant, der Reduktion auf Wesentliche. Aber auch bei den neuen Avataren besteht kein direkter Kontakt zwischen Betrachter und Figur. Selbst wenn die Figur realistisch gestaltet und hoch aufgelöst ist, wie bei Ed Atkins oder Kate Cooper, ist sie immer noch gleichzeitig weg, in einer anderen Sphäre. Obwohl man diesen Körpern visuell sehr nahe kommen kann und jede Pore sieht, ist das Ding trotzdem tot. Denn alle anderen Sinneseindrücke fallen weg und der zwischenmenschliche Kontakt ist nicht da.

Definiert man organisch-lebendig und digital-tot als zwei gegensätzliche Pole, wo würdest du deine Bilder einordnen?
Die Menschen, die ich male, sind wahrscheinlich beides zugleich: Auf bestimmte Grundzüge reduzierte Figuren, sozusagen Platzhalter, und Personen mit sehr individuellen Charakteristika. Es ist eine Gratwanderung: Ich will, dass ein Gesicht etwas ausdrückt, aber es auch etwas anderes ausdrücken könnte. Im Grunde geht es dabei wieder um dieselbe Schwelle, eine  Nähe zu erzeugen, die vielleicht keine ist. Eine Identifikationsmöglichkeit, die aber auch nicht unbedingt eine ist.

Manuel Stehli: ohne Titel, 2018, Öl auf Leinwand, 200x250cm, © Manuel Stehli.

Wie setzt du diese Ambivalenz, diesen Wunsch nach Doppeldeutigkeit in deinen Bildern um?
Ich versuche seit längerem, so etwas wie eine Illusion von Objektivität in der Malerei zu finden. Malerei als das subjektive Medium, um das der Genie-Mythos über Jahrhunderte gebaut wurde. Ich finde es gerade interessant diese Haltung zu umgehen – oder es zumindest zu versuchen, obwohl das Subjektive natürlich in jedem Pinselstrich steckt.
Harte Kanten ermöglichen mir bestimmte Bereiche zu isolieren und so eine gewisse Distanz aufzubauen. Ich versuche Abstand zu halten – zum Duktus, zum Farbauftrag, zur Textur, zu einem Körperteil, das vielleicht für sich sehr sinnlich ist, aber dann doch wieder isoliert vom Rest.

Fällt es dir leicht ein Bild für fertig zu erklären?
Nein, überhaupt nicht. Dafür brauche ich Ausstellungen. Meistens liegen mehrere Schichten auf der Leinwand verborgen. Einzelne Dinge müssen sich erst mal auf der Leinwand behaupten. Manchmal hilft es etwas dazu zunehmen oder wegzulassen. „Kill your darlings“ hat sich für mich als Kredo gut bewährt – etwas zentrales wegzulassen und durch die Lücke, die dann entsteht, kommt das Bild zusammen. Oft sind die Partien, die mir am Anfang am wichtigsten sind, am Ende am wenigsten wichtig.

Du meintest vorher, du arbeitest neben Screenshots auch mit gefundenen Fotografien. Was sind das beispielsweise für Bilder?
In der Ausstellung sind zwei Bilder von schlafenden Männern zu sehen. „Schlafender Mann 2“ zeigt einen recht männlichen Typen, der in einer verletzlichen, ruhenden Pose auf einer Matratze liegt. Er ist aus mehreren Körpern zusammengesetzt, die Beine gehören nicht zum Kopf und die Arme nicht zum Rest. Am Anfang hatte der Mann die Augen geöffnet, denn die Vorlage für den Kopf war ein Foto von einem Basketballspieler. Ursprünglich hatte ich vor, zwei sich umarmende Männer zu malen. Bei der Recherche für das Bild stellte sich heraus, dass die besten Fotos von sich umarmenden Männern im Zusammenhang von Basketballspielen entstehen. Der Schlafende Mann war ein Nebenprodukt von dem geplanten Bild, das im Ende nicht funktioniert hat.

Manuel Stehli: Tempel, 2018, Öl auf Leinwand, 40x50cm, © Manuel Stehli.

Das heißt du konzentrierst dich im Wesentlichen auf die Körperhaltung von Personen, wenn du nach Bildern recherchierst?
Nicht unbedingt. Das einzige kleinere Format in der Ausstellung ist vom Musikvideo zum Song „Don’t touch my hair“ von Solange inspiriert. Darin tanzt eine Gruppe in einer Art Pseudo-Tempel. Mir hat das grüne, schummerige Licht gefallen, das auf harte Kanten trifft und durch den Nebel hindurch scheint.

Mich erinnern die Hintergründe und Farbgebung deiner Bilder stark an Ed Ruscha und die amerikanische Westküste. Liege ich das falsch?
Nein, ich war tatsächlich in Kalifornien und hatte dort einen Aha-Moment. Schon vorher hatte ich mich in der Malerei immer weiter Richtung Süden bewegt. Ich habe davor in Leipzig Malerei studiert und das hatte wahrscheinlich auch etwas mit der Ablösung von der Leipziger Schule zu tun. In Leipzig habe ich diese düsteren Wälder und grauen Himmel gemalt. Wenn man ständig Neo Rauch sieht, malt man am Ende auch wenigstens einen Hochsitz. Während meines Erasmus Aufenthalts in London habe ich viel italienische Malerei der Frührenaissance, aber auch englische Maler der Gegenwart wie David Hockney und Michael Andrews gesehen. All die sonnigen Bilder in der National Gallery, da habe ich auch Freude an diesen klaren Farben gefunden. Das Kalifornische, das Südliche, das Sonnige.

Auf deinen Bildern sind viele dunkelhäutige Personen zu sehen – welche Bedeutung hat die Hautfarbe der Figuren und auf welche Einflüsse würdest du sie zurückführen?
Es ist der Einfluss vieler Eindrücke aus der Politik, den Medien, der Musik. Ich höre während des Malens gerade sehr viel Hip Hop und fühle mich darin, wenn auch als Außenstehender, irgendwie zuhause.  Man könnte sagen, es gibt einen kultureller Einfluss auf die Bilder, der sich überträgt ohne gleich eine politische Dimension zu einzufordern. Am Ende steht die Hautfarbe nicht im Vordergrund. Viele der Figuren in dieser Ausstellung haben eher orangene Haut als braune oder schwarze. Es gibt eine South Park-Folge, in der Menschen aus der Zukunft auf der Erde auftauchen, und die haben orange-braune Haut, weil das der Durchschnitt durch die Weltbevölkerung ist – so kann man das auch sehen.

WANN: Die Ausstellung „Out of Touch/ Out of Time“ von Aneta Kajzer und Manuel Stehli läuft noch bis zum 25. März 2018 und ist jeweils von Dienstag bis Sonntag von 14 bis 19 Uhr geöffnet.
WO: Künstlerhaus Bethanien, Kottbusser Straße 10, 10999 Berlin. Alles weitere online.

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