It's normal for me.
Ein Gespräch mit Claudia Holzinger, Lilly Urbat und Juergen Teller

26. Januar 2017 • Text von

Er fotografierte Charlotte Rampling nackt im Louvre, schmuggelte seinen Sohn in die Mannschaft des FC Bayern und inszenierte Kim Kardashians Hintern wie kein Zweiter. Nun zeigt Star-Fotograf Juergen Teller seine Arbeiten in seiner fränkischen Heimat. Wir haben ihn mit zwei seiner ehemaligen Studierenden zum Gespräch getroffen.

Juergen Teller: Irene Teller, Bubenreuth 2016, Copyright and courtesy the artist

Juergen Teller: Irene Teller, Bubenreuth 2016, Copyright and courtesy the artist

In den 1990er Jahren revolutionierte Juergen Teller die an ihrer Perfektionssucht krankende Modefotografie: Kate Moss wird in eine Schubkarre verfrachtet, Arnie lugt aus dem Maul eines ausgestopften Krokodils hervor und das brasilianische Topmodel Raquel Zimmermann posiert in seiner Heimat Bubenreuth in Metallica-Shirt und an der Kreissäge. Bei Teller ist nichts so wie man es gewohnt ist. Er stellt unsere Erwartungen auf den Kopf, provoziert und polarisiert, verzaubert aber auch mit seinem frischen unverstellten Blick. Seit zwei Jahren ist er Professor an der Nürnberger Kunstakademie. Seine beiden ehemaligen Studierenden Claudia Holzinger und Lilly Urbat schicken sich an, inspiriert durch die unakademische Leichtigkeit ihres Lehrers, eine ebenfalls freie, authentische und frische Form für ihre Gedanken zu finden. Zeitgleich zu Tellers großer Einzelausstellung im Erlanger Kunstpalais eruieren die Beiden unter dem Künstlerlabel ‘holzingerurbat’ im Erlanger Kunstverein die Frage was Frauen wollen und was einen Mann zum Mann macht.
Als während Tellers Eröffnung, die ohnehin eher einem Club-Event mit langen Warteschlangen, Türsteher und DJ glich, seine Mutter Irene an seiner Statt beginnt, Autogramme zu geben, haben wir ihren Sohn Juergen Teller draußen neben der Pommesbude gemeinsam mit Claudia Holzinger und Lilly Urbat zum Gespräch getroffen.

gallerytalk.net: Juergen, seit 2015 bist Du Professor für künstlerische Fotografie an der Nürnberger Kunstakademie. Kannst Du schon ein Fazit über die bisherige Zeit ziehen? Was möchtest Du Deinen Studenten mitgeben und was ist Dir in dieser Funktion das Wichtigste?
Juergen Teller: Es war für mich ein wichtiger Einschnitt, als ich nach London gegangen bin. Ich konnte fast überhaupt kein Englisch und dachte, ich muss Assistent werden, um das zu lernen und um da reinzukommen. Es gab zwei Fotografen, der eine war Mark Lebon und der andere war Nick Knight. Alle anderen waren fürchterlich, aber die beiden haben mich am Arm genommen und haben mir Mut gemacht. Nick Knight und seine Frau haben gesagt, schau Dir das doch mal an, was Du da machst, mit Deiner Mappe – do your own work! Die beiden haben mir dann richtig geholfen und auch aktiv Treffen für mich ausgemacht, zum Beispiel: “Um 3 Uhr 30 am Donnerstag gehst Du zu dem Art Director, zu der und der Record Company, zu der und der Adresse.” Ich wusste nie, wer das alles ist, aber weil Nick Knight angefragt hat, haben die gesagt: “Ok, den sehen wir uns an.” Das habe ich nie vergessen! Das werde ich nie vergessen, wie die mir damals geholfen haben! Als dann die Anfrage wegen der Professur in Nürnberg kam, habe ich mir gedacht, vielleicht ist jetzt genau der richtige Zeitpunkt um etwas zurückzugeben. Ich weiß ja gar nicht, was ein Professor ist und wie man sowas macht. Aber ich dachte, ich will das versuchen. Und zwar hier in diesem Umkreis, nicht in Yale – da wollten sie auch, dass ich Professor werde – oder in Long Island, in Upstate New York, das macht für mich keinen Sinn.

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Juergen Teller mit seinen beiden ehemaligen Studierenden Lilly Urbat und Claudia Holzinger. Photo: Alexandre Karaivanov

Lilly und Claudia, nach Eurem Grafikdesignstudium an der Akademie habt ihr in der Klasse von Juergen Teller noch Fotografie studiert. Findet ihr, dass Juergen ein guter Lehrer ist? Was habt ihr von ihm gelernt?
Lilly Urbat: Juergen ist auf jeden Fall ein super Mensch! Und er ist ein guter Prof. Wir haben unglaublich viel gesehen in den letzten Jahren, wir haben sehr viel über Editing und über Layouts gelernt, darüber, wie man einen Job überhaupt macht, dass man keine Angst haben muss und dass man eine Idee sofort ausprobieren sollte. Wenn es dann nichts ist, kann man es immer noch wegschmeißen, aber zunächst sollte man viele Bildern machen und hinterher entscheiden. Man muss eine Situation einfach voll nutzen. Und wie er auch sagt: die Freude am Leben – enjoy your life!

Claudia Holzinger: Was ich super finde, ist, dass Juergen, seit er da ist, echte Projekte zum Beispiel für ein Magazin mitbringt und mit uns umsetzt. Da wird dann verlangt: Du musst gute Bilder machen, gut layouten und am Ende eine runde Sache abliefern. Da geht es raus in die reale Welt. Es ist super, dass wir schon im Studium die Möglichkeit haben, so etwas zu machen.

Juergen Teller: Charlotte Rampling, a Fox, and a Plate (Teller), London 2016, Copyright and courtesy the artist

Juergen Teller: Charlotte Rampling, a Fox, and a Plate (Teller), London 2016, Copyright and courtesy the artist

Juergen, Du lebst in London, hast aber hier in Franken Deine Wurzeln. Teilweise thematisierst Du das auch in Deiner Arbeit, wenn Du z.B. internationale Supermodels oder Designer mit in die fränkische Provinz nimmst. Wie fühlt sich dieser Switch zwischen den konträren Welten für Dich an?
Juergen Teller: Ich kann das nicht anders beantworten als mit for me it’s normal. It’s what I wanna do. Man könnte jetzt etwas Großartiges zusammenreden, aber für mich macht es einfach Sinn, das genau so zu tun. Ich sehe auch keinen Unterschied zwischen dem einen und dem anderen. Ich mache mir da keine Gedanken. Ich bin nicht unbedingt freiwillig nach London gegangen. Ich wollte Fotografie machen, das war der Grund. In der Schule war ich so bescheuert, das Englischlernen zu verweigern, weil ich dachte, das brauche ich nicht! Dann musste ich zur Bundeswehr, was ich auch überhaupt nicht wollte, und als ich schließlich mit 22 weggegangen bin, konnte ich erstmal kein Englisch. Dann habe ich nicht mehr viel mit Deutschland zu tun gehabt, weil ich mich erst einmal zurechtfinden musste und versucht habe, irgendwie Fuß zu fassen. Ich habe damals so viele Celebrities fotografiert mit all ihren Neurosen. Da kam immer mehr so eine Art Heimweh bei mir auf. Um 2000 bin ich in meine Heimat Bubenreuth gefahren und habe begonnen, mich selbst zu fotografieren.

Es ist auffällig, dass viele Studierende in Deiner Klasse die Grenzen der reinen Fotografie sprengen. Experimentiert wird mit Installation, Material oder Video. Provokant gefragt: Ist das gerade der Zeitgeist? Ist die reine Fotografie zu wenig?
Juergen Teller: Das ist eine gute Frage. Ich glaube, dieser ganze Impuls kam von den Studenten selbst. Ich versuche, sie zu ermutigen, aber darauf gekommen sind sie selbst. Und that’s the way things are. Die schauen sich die Welt an und dann machen sie es einfach so.

Hat Dich das auch inspiriert? Ist das eine Art Wechselspiel?
Juergen Teller: Naja, sagen wir mal so: Auch ich nehme bei allem, was ich mache, irgendwelche Einflüsse auf. Aber zu sagen “oh my god, der hat jetzt eine Weinflasche in der Hand, jetzt muss ich auch mal eine Weinflasche fotografieren!” So einfach ist das nicht. Man redet über etwas und manche Sachen passieren einfach so, unterbewusst. Das kann schon sein. In der Bundeskunsthalle in Bonn habe ich letztes Jahr ebenfalls angefangen, installativ zu arbeiten und Videos zu zeigen.

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holzingerurbat: Einladungskarte zu “Edle Pfropfen. Wann ist ein Mann ein Mann” im Kunstverein Erlangen, 2017

Lilly und Claudia, ihr habt zu Eurer Ausstellung in der Akademie Galerie im vergangenen Herbst das Label holzingerurbat gegründet. Werdet ihr das in Eurer kommenden Ausstellung im Kunstverein Erlangen weiterführen? Inwieweit wird die Fotografie dort vorkommen?
Lilly Urbat: Fotografie hat auf jeden Fall ihren Platz in der Ausstellung. Aber wir haben viele Ideen und setzen diese so um, wie wir denken, dass sie sich bestmöglich umsetzen lassen, egal in welchem Medium. Die Freiheit nehmen wir uns raus.

Claudia Holzinger: Wir haben beide Grafikdesign studiert und ich glaube unter diesen Vorzeichen sollte man auch die holzingerurbat-Ausstellung in der Akademie Galerie sehen. Der Ausstellungsraum wurde zum Büro, in dem wir Events veranstaltet haben. So wurden alle zu Schauspielern. Die Eröffnung war eine Betriebsfeier und alle waren Geschäftspartner.

Lilly Urbat: Wie Juergen arbeiten auch wir sehr viel mit unserer Biografie. Nur haben wir eben eine ganz andere! Dementsprechend kommen auch andere Sachen dabei raus. In dieser Corporate-Geschichte in der Akademie Galerie steckte viel von unserem Design-Studium. Und in der kommenden Ausstellung, die wir im Kunstverein Erlangen machen, wird auch sehr viel Biografisches enthalten sein, aber ein anderer Teil davon. Ich glaube, man versteht das in zehn Jahren alles besser! Der Titel der Ausstellung ist „Edle Pfropfen. Wann ist ein Mann ein Mann“. Wir sind ja zwei Frauen und dementsprechend geht es in der Ausstellung viel um Männer, um Männlichkeit, auch um Sexualität, aber auch um Verletzbarkeit. Und immer aus einer „feministischen“ Perspektive, also aus einer weiblichen Perspektive.

Claudia Holzinger: … weil es ja unsere Perspektive ist. Es ist keine feministische Ausstellung, aber wir sind nun mal Frauen! Von daher kannst Du es nicht vermeiden, dass es so ist. Das ist eben unser Blickpunkt.

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holzingerurbat (Lilly Urbat und Claudia Holzinger) © holzingerurbat

Sowohl in Juergens Arbeiten, als auch in den holzingerurbat-Projekten ist es auffällig, dass ihr Euch selbst oft ins Bild setzt. Juergen, wie wichtig ist dieses Verhältnis von Vor-der-Kamera-Stehen und Hinter-der-Kamera-Stehen?
Juergen Teller: You have to deal with so much vanity! Da habe ich mir gedacht, jetzt fotografiere ich mich doch einfach mal selbst. Ich bin ja auch immer da und kann mit mir selbst was machen. Und warum ist der jetzt besser als der andere? Ich kann das genauso machen wie die anderen! Die ersten Selbstportraits habe ich dann eben in Bubenreuth gemacht, im Wald und in der Sauna.

Lilly Urbat: Will man eine Idee rüberbringen, ist es oft am einfachsten, wenn man sich selbst als Model nimmt. Andere Leute haben natürlich auch gute Ideen und ihre Qualitäten, die lassen sich vielleicht auch gut fotografieren. Aber wenn es was ist, was Du jetzt der Welt sagen willst, dann ist es so einfach einfacher.

Juergen Teller: Selbstportrait mit Retuschieranweisungen, London 2015, Copyright and courtesy the artist

Juergen Teller: Selbstportrait mit Retuschieranweisungen, London 2015, Copyright and courtesy the artist

Auf der anderen Seite hat man aber auch nicht so viel Kontrolle über das, was passiert, weil man in dem Moment nicht sieht, was man tut, oder?
Lilly Urbat: Ja, aber dann habe ich die Claudia, die hundertprozentig weiß, was ich will. Und Juergen hat seine Assistentin. Man braucht jemanden, mit dem man gut zusammenarbeiten kann. Das hilft viel.

Claudia Holzinger: Man hat eine bestimmte Vorstellung und man ist einfach derjenige, der es am besten umsetzen kann. Wenn man jetzt natürlich wie Juergen oft diese Jobs hat, dann kann er die Vivienne Westwood-Roben schlecht selbst anziehen. Er muss dirigieren und sagen, wie er es haben will. Für seine künstlerischen Projekte, seine autobiografischen Arbeiten, da eignet es sich natürlich, sich selbst zu fotografieren. Bei Schriftstellern sagt man doch oft, dass es keinen Schriftsteller gibt, der nicht über sich selbst schreibt. Beim Fotografen ist es auch so.

Juergen Teller: Meine Studenten / Akademie der Bildenden Künste Nürnberg, Bubenreuth 2015, Copyright and courtesy the artist

Juergen Teller: Meine Studenten / Akademie der Bildenden Künste Nürnberg, Bubenreuth 2015, Copyright and courtesy the artist

Juergen, gibt es für Dich einen Unterschied, ob Du ein Supermodel fotografierst oder jemanden, der nicht viel Erfahrung vor der Kamera hat? Gehst Du dann anders vor?
Juergen Teller: Ich gehe eigentlich immer gleich vor. Und immer ist es anders. Es geht darum, einfühlsam gegenüber der anderen Person zu sein, egal ob es ein Student, meine Mutter oder Kim Kardashian ist. Du musst Dich immer ganz sensibel in die Situation und in die andere Person einfühlen. Und every time it’s different, but every time it’s the same. Man muss immer aufpassen, was man tut und wie man es macht. Gott sei Dank, passiert auch immer etwas Aufregendes wenn man eine offene Situation schafft. Man will ja eine andere Person fotografieren, die auch noch was mit reinbringt. Dadurch ist man auf diesen Menschen angewiesen. That’s the whole point of it. Dann fängt das Abenteuer an.

WANN: Juergen Tellers große Einzelausstellung in heimatlichen Gefilden ist noch bis zum 23. April zu sehen.
„Edle Pfropfen. Wann ist ein Mann ein Mann“ von holzingerurbat startet am 1. März 2017.
WO: Erlangen is the place to be: Juergen Tellers Arbeiten zeigt das Kunstpalais am Marktplatz 1; nicht weit davon entfernt eröffnen seine ehemaligen Studentinnen ihre Ausstellung im Kunstverein an der Hauptstraße 72.

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