Suburbia der Künste
MS Artville 2016

29. Juli 2016 • Text von

Das MS Artville findet wie immer mitten im Grünen und umringt von Hamburger Hafenindustrie statt. Hier wird ein Mekka für kunst- und tanzfreudige Wesen erschaffen und das nicht hinter verschlossenen Türen, nein, die OpenAir Galerie ist vielmehr ein ständig wachsendes Virtuosum der Kreativität. Wir durften jetzt schon mal luschern.

Quintessenz auf dem MS Artville 2016 © urbanshit

Quintessenz auf dem MS Artville 2016 © urbanshit

Am Samstag wird mit dem alljährlichen Richtfest die Zeit der Kunst in Wilhelmsburg eingeläutet. Das MS Artville hat sich in diesem Jahr der Geisterstadt verschrieben. Welche Geister gerufen werden, erklärt uns der Kurator Rudolf D. Klöckner persönlich.

gallerytalk.net: Lieber Rudolf, das diesjährige Artville steht im Zeichen der Geister. Natürlich haben wir den Pressetext gründlich gelesen, aber sag, wo stecken für dich genau die Geister des Artville?
Rudolf D. Klöckner: Richtig, das diesjährige Oberthema des Festivals ist  die „Geisterstadt“. Wer an eine Geisterstadt denkt, denkt vermutlich als erstes an eine verlassene Stadt, an einen Ort der früher einmal bewohnt war und nun leer steht. Tatsächlich leben wir aber alle in Geisterstädten. Die Stadt als führendes globales Lebenswunschmodell ist ein glorifiziertes, artifizielles Abbild seiner selbst. Diese Tatsache nutzt eine bestimmte Art der Kunst, um als kreativer (Stör)Geist in den bestehenden Strukturen zu intervenieren. Mit den Mitteln der Kunst kann oftmals ein Blick hinter die architektonische Hülle und physische Gestalt der Stadt geworfen werden. Kunst hinterfragt gesellschaftliche Mechanismen, analysiert gesetzte Strukturen, stört oder verändert den Raum, in dem sie entsteht, zum Positiven. Wir haben 21 internationale Künstler nach Hamburg eingeladen, um auf unterschiedliche Art und Weise mit dem Raum vor Ort zu arbeiten. 21 Störgeister, die einen Blick hinter die Kulissen der Stadt werfen.

Rudolf D. Klöckner

Rudolf D. Klöckner

gallerytalk.net: 2016 ist das dritte Jahr, in dem eine ganze Kunst-Stadt auf dem Artville-Gelände erschaffen wird. Das Urbane wird auf das grüne Festivalgelände adaptiert. Warum genau ist das erstrebenswert?
Rudolf D. Klöckner: Genau, in den letzen beiden Jahren sind abgeleitet aus dem Genius Loci die Strukturen einer kleinen eigenen Stadt skizziert und der Grundstein für einen offenen Experimentier- und Kunstraum gelegt worden. Die ersten realisierten Bauten und gewachsenen Strukturen haben von Anfang an ziemlich gut funktioniert. Die Kunststadt wuchs organisch weiter und fing an sich mehr und mehr mit Leben zu füllen. Künstler und Festivalbesucher sind auch dieses Jahr wieder eingeladen, den Sommer über Gäste und temporäre Bewohner dieser eigenen, kleinen Kunststadt zu sein.

Rein landschaftich betrachtet findet das MS Artville auf der grünen Wiese statt. Gleichzeitig kann ein Ort, der mitten in der Stadt, neben haushohen Leercontainerlagern und dem bewohnten Reiherstiegviertel liegt, viel urbaner garnicht sein. Da ist es nur konsequent bei der Planung eines Festivals eben nicht vom Status der grünen Wiese auszugehen, sondern mit den vorhandenen Strukturen zu arbeiten. Um bei der Terminologie zu bleiben: Ich würde das Festival als eine Art Suburbia der verschiedenen Künste bezeichnen, als eine interdisziplinäre Spielwiese für Künstler und Publikum, als Bewohner auf Zeit der MS Artville Kunststadt.

Josua Wechsler © urbanshit

Josua Wechsler © urbanshit

gallerytalk.net: Was sind die spannenden Momente an der kuratorischen Arbeit auf dem Artville?
Rudolf D. Klöckner: Das wirklich spannende an der kuratorischen Arbeit beginnt meistens eigentlich erst nach der Auswahl der Künstler. Erst im zweiten Schritt kommt es zu den wesentlichen Fragen: Wie lässt sich das angedachte Projekt auf umsetzen? Oder: Funktioniert die künstlerische Idee vor Ort immer noch genau so gut?

gallerytalk.net: Wir kennen dich von urbanshit, deinem über die Stadtgrenzen hinaus erfolgreichen Blog für urbane Kultur, Street Art & Graffiti aus Hamburg (und Berlin). Mittlerweile gibt es gar die urbanshit gallery, eine online Galerie. Das war ja quasi eine logische Konsequenz, dass du früher oder später in die Kunst-Stadt berufen wirst, oder?
Rudolf D. Klöckner: Ich freue mich jeden Tag darüber, dass sich das Patchwork der einzelnen Projekte, an denen ich arbeite, so gut zusammenfügt. Was mich interssiert ist die Schnittstelle oder besser gesagt die vielen Schnittstellen der Kunst und der Stadt. Aus diesem Grund freue ich mich sehr darüber, dass ich dieses Jahr als kuratorischer Gast und Bewohner in die MS Artville Kunststadt eingeladen wurde.

Florian Huber @ urbanshit

Florian Huber @ urbanshit

gallerytalk.net: Auf was freust du dich persönlich ganz besonders auf dem diesjährigen Artville?
Rudolf D. Klöckner: Persönlich freue ich mich dabei ganz besonders, dass gleich mehrere Künstler dabei sind, die noch nie zuvor ein Projekt in Hamburg oder Deutschland realisiert haben.

gallerytalk.net: Diese Frage richtet sich vielleicht weniger an Hamburger Kunsthasen, als an Neuzugezogene und Anderswolebende: Was macht das MS Artville so besonders im Vergleich zum weiteren Kunst-Festival-Aufkommen in der Hansestadt?
Rudolf D. Klöckner: Seien wir mal ehrlich: Die Kunstfestivals in Hamburg lassen sich an zwei Händen abzählen. Ich bin über jedes einzelne sehr froh, dass es es gibt. Das MS Artville reiht sich in diese Riege von teils sehr verschiedenen Kunstfetivals ein. Jeder der Zeit und Lust hat sollte sich dieses und möglichst auch alle anderen Kunstfestivals anschauen. Am Ende bereichern die Festivals nicht nur die Stadt sondern fördern vor allem auch den Austausch.

Lukas Adolphi © urbanshit

Lukas Adolphi © urbanshit

 

gallerytalk.net: Was sind deine persönlichen Zukunftspläne / Träumereien / Spinnereien / Wünsche?
Rudolf D. Klöckner: “Wir packen Hamburg wieder auf die Karte” haben Die Beginner kürzlich in ihrem ersten Song des angekündigten neuen Albums verkündet. Ich denke Ähnliches lässt sich auch über die Kunstszene in Hamburg sagen. Hamburg als Standort für zeitgenösische Kunst ist und war nie weg. Es passiert bereits viel an der Elbe und es wird vor allem noch einiges mehr passieren in Zukunft.

Danke, lieber Rudolf. Wir freuen uns auf die sommerliche Kunststadt mit allem was dazu gehört! Einen guten Endspurt wünschen wir dir und dem ganzen Team und wir sehen uns am Samstag.

WANN: Vom 30. Juli bis zum 13. August findet das MS Artville statt. Das Richtfest am morgigen Samstag steigt ab 16 Uhr. Kunstdrucken am 31. Juli und 07. August und das Burgfest und Artschlussfest am 13. August sind die Tage, die wir uns im Kalender bunt malen.
WO: Auf dem MS Dockville-Gelände in Wilhelmsburg. Wie ihr dort hinkommt, lest hier.

 

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